Thursday, October 20, 2016

Schlaflos im Kanzleramt (Wladimir Putin)

Putin wusste, dass sein Treffen mit Merkel, Poroschenko und Hollande in Berlin kein angenehmer Abend werden würde. Was hat es gebracht, für die Ukraine und für Aleppo?

Russlands Präsident Wladimir Putin gibt am Morgen des 20. Oktober eine Pressekonferenz am Flughafen Berlin-Tegel, bevor er zurück Russsland fliegt. © Axel Schmidt/Reuters

Schon der Besuch an sich war bemerkenswert. Präsident Putin kam für eine lange Nacht nach Berlin, um über Russlands Konflikte und Kriege zu sprechen. Über die Ukraine und Syrien. Es war Putins erster Deutschland-Besuch seit der Krim-Annexion und der Offensive in der Ostukraine 2014.

Er wusste, dass es – trotz Übernachtung im Hotel Adlon mit Blick aufs Brandenburger Tor – kein angenehmer Abend im Kanzleramt werden würde. Merkel nannte es eine "sehr klare" und "sehr harte Aussprache". Putin zog es vor, die Gespräche nicht weiter zu charakterisieren.


Warum also kam der russische Präsident? Vielleicht, weil in Berlin schon wieder über Sanktionen gegen Russland diskutiert wird, diesmal wegen Syrien. 

Vielleicht, weil diese Debatte direkt vor dem EU-Gipfel am heutigen Donnerstag stattfand, auf dem über solche Sanktionen gesprochen werden könnte. Vielleicht auch, weil Putin die wachsende internationale Kritik am Bombardement Aleppos abschwächen und Konsequenzen verhindern will. Russland verkündet kurzfristige Waffenpausen in Syrien, auch wieder gestern Abend in Berlin.

Was also hat das Treffen mit Wladimir Putin gebracht, für die Ukraine und für Aleppo?

Der Abend im Berliner Kanzleramt trug im Diplomaten-Sprech den sperrigen Namen "Normandie-Format". Das heißt, dass sich nicht nur Merkel und Putin trafen, sondern, dass der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und der französische Präsident François Hollande dabei waren. Diese Runde kam zum ersten Mal im Juni 2014 zusammen. In Berlin ging es darum, das Abkommen von Minsk zu retten, welches der Ukraine ihren Wackel-Waffenstillstand beschert hat. Mehr ist bisher nicht herausgekommen. Wer auf greifbare Ergebnisse erpicht ist, muss das Abkommen im Grunde als Fehlschlag ansehen. 

Die Waffenruhe, der erste von mehreren vereinbarten Schritten, wird immer wieder gebrochen. Die schweren Waffen, obwohl längst verboten, rollen von beiden Seiten irgendwie immer wieder an die Front vor.

Dieser Minsker Prozess ist deshalb so schwierig, weil das Abkommen in einer Kriegsphase geschlossen wurde, in der die Ukraine vor der entscheidenden Niederlage stand. Deshalb musste Petro Poroschenko akzeptieren, dass im Minsker Ablaufplan nach der Waffenruhe zunächst lauter ukrainische Zugeständnisse folgen, bevor die Russen ihren wesentlichen Beitrag leisten. Konkret: Erst muss es ein Wahlgesetz geben, muss sich die Ukraine durch 

Verfassungsänderungen dezentralisieren, sollen die Separatisten unter diesen neuen Bedingungen wählen. Dann erst müssen die Russen der Ukraine wieder die Kontrolle über ihre Ostgrenze zugestehen, über die bis dahin munter der Nachschub für Moskau-treuen Separatisten laufen kann. Kein Wunder, dass die Separatisten und die ukrainischen Streitkräfte die Waffenruhe brechen, die Ukrainer nach OSZE-Beobachtungen in jüngster Zeit sogar häufiger.

Ein neues Bekenntnis zum Minsker Prozess

In der langen Nacht von Berlin kam nicht mehr heraus als ein neues Bekenntnis zum "Minsker Prozess". Die Außenminister sollen nun bis Ende November einen neuen Fahrplan für die politischen Fragen des Abkommens ausarbeiten, um den Konflikt zu entschärfen. Poroschenko sprach sogar von einer mit der OSZE abgestimmten bewaffneten Polizeimission der Ukraine, aber die anderen drei verloren darüber kein Wort. Das ist symptomatisch für Minsk.

Der Sinn der Gespräche im "Normandie-Format" besteht so weniger darin, etwas langfristig Haltbares oder gar Frieden zwischen Moskau und Kiew zu erreichen. Entscheidend ist, den heißen Krieg, der 2015 in einer gefährlichen Niederlage der Ukraine zu enden drohte, einzufrieren. Dieser Krieg hätte das Land zum Kollaps führen können. Seine unangenehmen Ergebnisse werden so nicht umgekehrt. Wichtiger ist bisher nicht, was am Verhandlungstisch erreicht, sondern was verhindert wird. Das ist furchtbar unbefriedigend, aber besser als in Syrien.

Denn dort hat die "sehr klare" und "sehr harte Aussprache" von Berlin zu nichts Greifbarem geführt. Putin nutzt im freien Luftraum über Aleppo die Untätigkeit von US-Präsident Barack Obama, um in Syrien alles klar zu machen. 

Es ist bemerkenswert, dass die Weltmacht USA Wladimir Putin in Syrien viel weniger bremsen kann, als es der Mittelmacht Deutschland im ukrainisch-russischen Krieg gelungen ist. Kurzfristige Waffenruhen in Aleppo bringen der Bevölkerung wenig. Vor allem dann nicht, wenn sie ein wenig Hilfe erhalten, um danach von einer bunkerbrechenden Bombe im Schutzkeller erwischt zu werden. 

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