Wladimir Putin beschuldigt die Ukraine,
Terrorkommandos auf die Krim zu schicken. Als Vorwand für einen Feldzug? Kiew
jedenfalls reagiert mit Kampfbereitschaft für seine Truppen.
Schon das Kalenderblatt ist
ein schlechtes Omen: Der August ist in den vergangenen 25 Jahren zu einer Art
russischem Schicksalsmonat geworden: Putsch gegen Gorbatschow 1991.
Rubel-Absturz 1998. Untergang des Atom-U-Boots "Kursk" 2000. Krieg
mit Georgien 2008.
Nun wieder?
Nach einem Zwischenfall an
der Landgrenze zwischen der von Russland annektierten Krim und dem ukrainischen
Festland scheint die nächste Eskalation in der Krise möglich. "Die Ukraine ist zu Terror
übergegangen", behauptete Russlands Präsident Wladimir Putin. Sein ukrainischer Gegenpart Petro Poroschenko konterte: Das seien
alles russische "Fantasien". Kiew hat seine Truppen nahe der Krim und
in der Ostukraine in Alarmbereitschaft versetzt.
Den Zwischenfall, der die
Spannungen ausgelöst hat, schildert der russische Geheimdienst FSB so: In der
Nacht von Samstag auf Sonntag sei eine Gruppe bewaffneter Kämpfer von
ukrainischer Seite auf Krim-Territorium vorgestoßen, mit 40 Kilogramm
Sprengstoff im Gepäck. Die Männer seien in einem Gefecht gestellt worden. In
der Nacht auf Montag habe es zwei weitere "Durchbruchsversuche"
gegeben, unterstützt von ukrainischem Artilleriefeuer und gepanzerten
Fahrzeugen. Bei den Gefechten sollen ein FSB-Mann und ein Soldat getötet worden
sein. Ziel der Angreifer seien Anschläge auf "lebenswichtige
Infrastrukturobjekte" auf der Krim gewesen. Es sei darum gegangen, die
soziale und politische Lage vor den Duma-Wahlen im September 2016 zu
destabilisieren.
Belege für Russlands
Behauptungen gibt es nicht
Das russische Fernsehen zeigte
Aufnahmen von Rucksäcken mit Sprengstoffpaketen und einen Mann, der den
Zuschauern als Chef der Terrorgruppe präsentiert wurde. In der Ukrainekrise
haben sich die Angaben russischer Geheimdienste und des Militärs oft als falsch
oder bewusst verdreht herausgestellt. Überprüfbare Belege für Moskaus
Darstellung gibt es nicht.
Schon jetzt zeichnet sich ab,
dass der Fall die Bemühungen um eine friedliche Beilegung der Ukrainekrise weit
zurück werfen könnte. Als Putin am Mittwochabend mit seiner Darstellung an die
Öffentlichkeit ging, verkündete er zugleich, die nächste Runde der für
September geplanten Verhandlungen abzusagen. Die seien ohnehin "sinnlos,
weil die Leute, die in Kiew die Macht an sich gerissen haben, statt Kompromisse
zu suchen, zur Praxis des Terrors übergegangen sind".
Das nächste Treffen der so
genannten Normandie-Runde mit Kanzlerin Merkel, Frankreichs Staatschef
Hollande, Putin und Poroschenko war eigentlich für Anfang kommenden Monats
geplant. Die Umsetzung der sogenannten Minsk-Vereinbarungen, 2015 unter Merkels
Federführung ausgehandelt, stockt seit Langem. Kiew und Moskau schieben sich
dafür gegenseitig die Schuld zu. Moskau pocht darauf, dass Kiew der Ostukraine
weitgehende Autonomierechte einräumt. Kiew will aber erst wieder die Kontrolle
über die eigene Grenze im Osten.
Ukrainische Gefangene
"aufhängen wie die Krähen"
Putins scharfe Wortwahl und
der mögliche Abbruch der Verhandlungen könnten ein Indiz dafür sein, dass
Moskau wieder in alte Verhaltensweisen zurückfallen könnte. Obwohl in der
Ostukraine auch in den vergangenen Wochen - trotz Feuerpause - wieder vermehrt
geschossen, gekämpft und gestorben wurde: Aus dem Kreml kamen eher ruhige Töne.
Das Fernsehen berichtete seltener über die Ukraine. Die Bevölkerung verlor das
Interesse an dem Konflikt, wie Umfragen belegen. Und Putin selbst verkündete im
Juni sogar, vermutlich wären Poroschenko und Co. bei den nächsten Wahlen auch
ohne die Maidan-Revolution an die Macht gekommen. Den Kampfbegriff
"faschistische Junta" für Kiews Regierung hörte man kaum noch in
Moskau.
Jetzt aber rasseln in Moskau
wieder die Säbel. Das Außenministerium hat angekündigt, der Tod der beiden
russischen Militärs werde nicht ohne Antwort bleiben. Die staatliche
Nachrichtenagentur Ria Nowosti fabuliert vom "Terrorstaat Ukraine"
und zieht Parallelen zum 11. September 2001: So wie die Amerikaner damals dürfe
Russland nun ebenfalls zurückschlagen. Der russische Krim-Premier Sergej
Axjonow plädiert dafür, die gefangenen Ukrainer zu "erschießen und an der
Grenze aufzuhängen wie Krähen".
In der Ukraine schürt das
Ängste, Russland könnte nur einen Vorwand für einen Feldzug gegen Kiew gesucht
haben. Viele Kommentatoren ziehen Parallelen zum Augustkrieg 2008. Damals hatte
Moskau einen schweren georgischen Angriff auf die Separatistenrepublik
Süd-Ossetien genutzt, um bis tief auf georgisches Territorium vorzustoßen.
Zahlreiche Militärbasen des Nato-Beitrittskandidaten wurden zerstört.
Auch ein zweites Schlagwort
macht auf sozialen Netzwerken in der Ukraine die Runde: "Gleiwitz".
1939 hatten SS-Soldaten in polnischen Uniformen einen Überfall auf den
deutschen Sender in Gleiwitz inszeniert. Er diente als Vorwand für den
deutschen Angriff auf Polen.
Schüsse in den frühen Morgenstunden
Tatsächlich hat es offenbar in
der Nacht auf Sonntag einen Zwischenfall zwischen ukrainischem Festland und
Krim gegeben. Anwohner berichteten auf sozialen Netzwerken von Schüssen in den
frühen Morgenstunden. Russische Grenzschützer schlossen mehrere Grenzübergänge.
Hinweise auf schweres Artilleriefeuer oder ukrainische Panzerfahrzeuge gibt es
allerdings nicht. Der Journalist Denis Trubezkoy machte sich an der Grenze
selbst ein Bild der Lage. "Im Moment ist nichts klar. Mit großer Wahrscheinlichkeit
kann man von einem Vorfall sprechen, der in der Nacht von Samstag auf Sonntag
stattgefunden haben soll." Er habe aber keine Anhaltspunkte, dass die
Version des russischen Geheimdienstes stimme.
Fragwürdig ist vor allem die
Behauptung Moskaus, bei den Eindringlingen habe es sich um ukrainische
Elitekämpfer gehandelt, denn das Vorgehen wirkt nicht professionell: In den
vergangenen Wochen hatte Moskau sein Militär an der Grenze zum Festland
verstärkt. Der Zeitpunkt für den angeblichen Durchbruchsversuch war also
schlecht gewählt. Dass nach dem Scheitern der ersten Gruppe in der Nacht zum
Montag eine zweite Gruppe auf die Krim vordringen wollte, erscheint merkwürdig.
Die russischen Grenzer waren ja gewarnt.
Nicht ausgeschlossen ist, dass
ukrainische Aktivsten auf eigene Faust hinter feindlichen Linien operieren
wollten. Im November hatten
Tataren die Stromverbindung auf die Krim gekappt. Der Mann, den das russische
Fernsehen seinen Zuschauern vorführte, wirkte jedenfalls nicht wie ein
Elitekämpfer. Er trug eine Schlabberhose, unter seinem T-Shirt wölbte sich ein
mächtiger Bauch. Er ist ein Lkw-Fahrer.
Steinmeier mahnt zur
Besonnenheit
Kiews Präsident Poroschenko
bemüht sich nun um ein Telefonat mit Putin. Die Ukraine hat außerdem den
Uno-Sicherheitsrat eingeschaltet. Der wollte sich noch am Donnerstag bei einer
Dringlichkeitssitzung mit dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine
befassen.
Der deutsche Außenminister
Frank-Walter Steinmeier (SPD) mahnte zur Besonnenheit. "Das Auswärtige Amt
steht mit ukrainischen und mit russischen Vertretern in Kontakt und hat seiner
Besorgnis über die jüngsten Entwicklungen Ausdruck verliehen", sagte eine
Ministeriumssprecherin. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot
Erler (SPD), fürchtet gar eine militärische Eskalation. Die aktuelle
Entwicklung sei "womöglich ein weiterer Schritt raus aus der Logik des
politischen Prozesses und ein Schritt hin zur Logik der militärischen
Auseinandersetzung".
Zusammenfassung: Moskau wirft der Ukraine
vor, Kämpfer auf die Krim geschickt zu haben. Die Regierung in Kiew bestreitet
dies und hat bereits den Sicherheitsrat der Uno eingeschaltet, die eine
Dringlichkeitssitzung anberaumt hat. Eine diplomatische Lösung des Konflikts
ist in weiter Ferne. Der Streit sorgt vielmehr für Unruhe im Land: Viele
befürchten, dass Moskau nur einen Vorwand für eine neue militärische Eskalation
sucht. Das russische Außenministerium hat bereits eine
Gegenmaßnahme angekündigt.
No comments:
Post a Comment