von FRIEDRICH SCHMIDT, MOSKAU
Besuche
deutscher Politiker in Russland folgen einem einfachen Schema: Man spricht von
Dialog in schwerer Zeit, Gesprächsfäden, die nicht abreißen sollen, und von
gemeinsamen Interessen. Dann lässt man sich als Botschafter guten Willens
loben. Die Besucher stärken damit Präsident
Putin, der sich mit dem Westen einen mal mehr, mal weniger verdeckten
Krieg an vielen Fronten liefert. Tausenden Toten in der Ukraine, Streubomben
gegen syrische Krankenhäuser und Hacker-Angriffen zum Trotz folgt bei Treffen
der Besucher aus Berlin oder Bayern mit Putin und dessen Regierungspersonal
meist Bückling auf Diener. So schwächen sie das demokratische System noch
zusätzlich, das von Putin schon genug bedroht wird.
Die üblichen
Floskeln werden auch in dieser Woche nicht fehlen, wenn
Bundeswirtschaftsminister Gabriel wieder in Moskau ist, dieses Mal mit einer
Wirtschaftsdelegation. Beim jüngsten Besuch im vorigen Herbst klagte der
SPD-Vorsitzende, es sei ihm „völlig unklar“, was Deutschland und Russland, die
noch im Jahr 2000 „ein exzellentes Verhältnis“ gehabt hätten, so habe
auseinanderbringen können. Auch äußerte Gabriel - gegen den Kurs von Bundesregierung und EU
- seine „persönliche Meinung“, dass man die im Ukraine-Krieg verhängten
Sanktionen schrittweise lockern solle und nicht erst, wenn alle Minsker
Bedingungen erfüllt seien. Im Februar redete Bayerns Ministerpräsident Seehofer
in Moskau ebenso.
Seinerzeit
schlachteten die vom Kreml gelenkten Medien gemeinsam mit Außenminister Lawrow
gerade ihre Mär von der angeblichen Vergewaltigung „unserer Lisa“ durch
Flüchtlinge aus, während russische Bomben weitere Flüchtlinge aus Syrien
trieben. Putin habe ihm gesagt, er mische sich nicht „in eure
Flüchtlingspolitik“ ein, berichtete der CSU-Vorsitzende und fügte hinzu, er,
Seehofer, habe das „sehr nobel“ gefunden. Im Juli warb dann
Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt in Moskau für eine „Wiederannäherung“ und
für deutsche Milchprodukte. „Käse statt Krise“, sagte Schmidt und posierte mit
seinem russischen Amtskollegen, dessen Familie ein Agrarunternehmen führt, das
Bauern in Südwestrussland für behördlich angeordneten Landraub verantwortlich
machen. Im August, als Putin und sein Schützling Assad es zuließen, dass die
Krankenhäuser im Osten Aleppos zerstört wurden, träumte Außenminister Steinmeier
in einer Rede in Jekaterinburg schließlich schon vom Wiederaufbau in Syrien,
bei dem Deutschland und Russland „Hand in Hand“ arbeiten würden.
Belege für das gute
Miteinander
Es fiel immerhin auf, dass
Steinmeier bei dieser Gelegenheit nicht nur wie sonst zum Dialog, sondern zum
„doppelten Dialog“ über Verbindendes und Trennendes aufrief. Es fielen sogar
die Worte „Ukraine“ und „Krim“. Denn Konfliktfelder werden bei deutschen
Gastspielen in Russland sonst zuverlässig gemieden. Man bleibt höflich, selbst
wenn russische Gastgeber ihrerseits weitschweifig den Westen anklagen. Wenn
sich die deutschen Gäste davon etwas versprechen sollten: Sie hoffen vergebens.
Die zahmen Besucher werden in
Moskau vielmehr als Beleg dafür präsentiert, dass man nicht isoliert sei und
der Westen gespalten, dass man zum guten Miteinander zurückkehre, ohne irgendwo
einlenken zu müssen. Viele Besucher stimmen sogar in das Moskauer Lied mit ein,
dass die westlichen Sanktionen nichts bewirkt hätten. Niemand aber weiß,
welchen Verlauf Putin seiner Ukraine-Invasion gegeben hätte, wenn der Westen
gar nicht reagiert hätte. Wie er denkt, zeigt Putins nach eigener Aussage
wichtigste Kindheitslektion: Die „Leningrader Straße“ habe ihm beigebracht,
„wenn eine Schlägerei unvermeidbar ist, dann muss man als Erster zuschlagen“.
Aber warum schlagen, wenn man den Gegner auch über dessen Schwächen gefügig
machen kann? Deutschland wird deshalb immer wieder an seine Schuld am Überfall
auf die Sowjetunion erinnert.
Verhängnisvolle Wirkung
Natürlich weiß auch Putin,
dass Berlin und Brüssel nicht ihre Politik ändern, wenn Gäste sich Vorteile
davon versprechen, zu Statisten in seiner Inszenierung zu werden. Es dürfte ihn
allerdings in der Überzeugung bestärken, dass es um Bundeskanzlerin Merkel und
damit um eine standfeste Haltung im Ukraine-Krieg einsamer wird. Selbst das
zweite Minsker Abkommen kam immerhin nur unter dem Druck robusterer Stärke
zustande: der amerikanischen Drohung, die Ukraine zu bewaffnen.
Nicht aber nur in Russland hat
das deutsche Defilee eine verhängnisvolle Wirkung. Die Gäste, die sich darum
drücken, russische Regelbrüche auch nur zu benennen, vermitteln den Beobachtern
in Deutschland das Bild eines deutsch-russischen Miteinanders, das so
harmonisch und friedlich sein könnte, wenn nur lästige Ruhestörer nicht wären:
aufmüpfige Ukrainer, perfide Amerikaner und westliche Medien, die über
Russlands Staatsdoping und die zersetzende Wirkung der Korruption schreiben. So
verharmlosen deutsche Demokraten einen Führer, der ihre Demokratie bedroht.
Seehofer, Gabriel und all die anderen müssen sich fragen, ob sie vom Schönreden
wirklich profitieren. Und wenn ja, um welchen
Preis.
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