Tuesday, June 16, 2015

Janukowitschs Millionäre

Die Ukraine wollte die Vertrauten des Ex-Präsidenten Janukowitsch vor Gericht bringen. Nun ist ein Ex-Parlamentarier verschwunden – mit seinen illegalen Milliarden und mit Hilfe der Behörden. Er ist kein Einzelfall.

Kiew Tagelang wurde in der Ukraine gerätselt, wo Sergej Klujew abgeblieben ist. Eigentlich sollte der ehemalige Parlamentarier und frühere Vertraute des geflohenen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch vor dem Generalstaatsanwalt aussagen. Doch der setzte sich ab.

Klujews Flucht und das Abwarten der ukrainischen Behörden ist kein Einzelfall, rund 50 Personen aus dem Umfeld des im Februar 2014 nach Moskau entkommenen Janukowitsch sollten eigentlich vor Gericht gestellt werden. Der Vorwurf: Veruntreuung von Milliarden Euro an Steuermitteln, Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft.

Mehr als 15 Monate nach dem Ende der pro-westlichen Euro-Maidan-Proteste werden in der Ukraine die Stimmen der Kritiker immer lauter, die fordern, die Versprechen von damals endlich einzulösen. Das jetzige Regierungsduo – Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk und Präsident Petro Poroschenko – stand damals an der Spitze der Demonstranten, eine der Hauptforderungen war die juristische Auseinandersetzung mit der zutiefst korrupten Regierung von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch.


Switlana Salischtschuk, bis zum vergangenen Herbst Bürgerrechtlerin und seit Oktober Parlamentarierin in der Fraktion „Block Petro Poroschenko“, sagte der Zeitung „Kyiv Post“, die Regierung laufe Gefahr, Zustimmung und Vertrauen der Ukrainer zu verlieren. „Eigentlich müsste Generalstaatsanwalt Schokin sofort zurücktreten“, fordert sie.

Viktor Schokin, so der Verdacht der Mitbegründerin der NGO „Reformpaket“, habe alles unterlassen, um Klujew festzunehmen. Nachdem am 3. Juni das ukrainische Parlament dem Multimillionär und parteilosen Abgeordneten Klujew die Immunität entzogen hatte, vergingen Tage, ohne dass die Behörden den Inhaber des Solarstromunternehmens ActivSolar zum Verhör vorluden. Den Termin am 9. Juni ließ die Generalstaatsanwaltschaft genauso verstreichen, wie es versäumt wurde, die Grenzkontrollen zu verschärfen.

Im Gegenteil: Ganz offenbar konnte Klujew, dessen Bruder bis Februar 2014 Kabinettschef der Regierung Janukowitsch gewesen war, die Ukraine ungehindert verlassen. Es gibt Gerüchte darüber, dass die Klujew-Brüder im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sind. Sollten die beiden tatsächlich nach Wien entkommen sein, wären die Klujews auch ein Fall für die dortigen Behörden.
Die Vorwürfe gegen Klujew haben es in sich, er soll bei illegalen Privatisierungen Milliarden verdient haben, zudem erhielt die Ökostromfirma ActivSolar Unsummen ukrainischer Haushaltsmittel, die Gewinne flossen hingegen unversteuert zum Firmensitz nach Wien. Aufgrund der hohen Summen, die dieses Finanzkonstrukt abwarf, sollen die Klujew-Brüder Miteigentümer mehrerer österreichischer Banken sein.

Switlana Salischtschuk befürchtet nicht nur, dass ihre Landsleute die Geduld mit der aktuellen Regierung verlieren, sondern auch, dass viele sich extremistischen Gruppen anschließen oder gar Selbstjustiz üben könnten. „Die Leute haben nach dem Euro-Maidan nicht erwartet, dass ihre Renten am nächsten Tag erhöht werden würden oder dass wir in einem Jahr Mitglied der EU sind, aber sie haben eine ernstgemeinte Aufarbeitung der Janukowitschjahre verlangt“, sagt Salischtschuk.

In einem Gastbeitrag für die US-Zeitung „Wall Street Journal“ hat Präsident Poroschenko behauptet, mittlerweile seien mehr als 2700 Personen aus dem Umfeld Janukowitschs den Gerichten übergeben worden. Doch diese Zahlen kann in Kiew keiner bestätigen. Daria Kalenjuk, Leiterin des Anti-Korruptionszentrums in Kiew, spricht von einem „Irrtum“. Sie kenne keinen einzigen dieser Fälle, sagte sie ukrainischen Medien. Die Anti-Korruptionsexpertin geht davon aus, dass es sich dabei um „kleine Angestellte und minderschwere Fälle“ handelt.

Anders liegen die Dinge bei Sergej Klujew, der zusammen mit seinem Bruder Andrej über Jahre hinweg von Janukowitsch bei Staatsaufträgen und Privatisierungen begünstig wurde. Beweise liegen seit Monaten vor, etliche Papiere waren auf dem Grundstück des Janukowitsch-Anwesens, der 130 Hektar großen Luxusunterkunft Meschegorija, bereits im März 2014 gefunden und öffentlich gemacht worden.
„Es ist schwer zu vermitteln, warum der Justizminister und der Generalstaatsanwalt nicht längst tätig geworden sind“, schreibt die „Kyiv Post“. Vieles sieht danach aus, dass das Strafverfolgungssytem der Ukraine nach wie vor den alten Gewohnheiten verhaftet ist. Das Justizsystem gehört zu einem der korruptesten weltweit.

Die Regierung muss nun viele Frage beantworten: Warum konnte sich Klujew im Oktober noch einmal ins Parlament wählen lassen? Warum konnte Schokins Vorgänger, der frühere Generalstaatsanwalt Rinat Kusmin, ungehindert nach Moskau entkommen? Wieso können frühere Minister aus der Ära Janukowitsch, wie der Energieminister Juri Boyko, Sozialministerin Natalia Korolewskaya und der frühere Leiter der Präsidialadministration, Sergej Lewotschkin, bis heute ungehindert ihrer Arbeit als Parlamentsabgeordnete nachgehen, ohne dass Verfahren gegen sie eingeleitet wurden?

Für Frust sorgt bei Bürgerrechtlern auch die Tatsache, dass die Europäische Union Kiew erst dazu drängen musste, nun doch endlich Ermittlungen gegen Janukowitsch und seine Gefährten einzuleiten, ansonsten würden nämlich die EU-Sanktionen gegen diesen Personenkreis aufgehoben werden müssen.
Derzeit sind Teile des Milliardenvermögens, das auf europäischen Banken liegt, eingefroren. Wenn Kiew nicht bald mit der juristischen Aufarbeitung beginnt, könnte es sein, dass dieses Geld in absehbarer Zeit den Janukowitsch-Leuten wieder zur Verfügung steht.

Bisher sprechen nur wenige den ungeheuerlichen Verdacht aus, Klujew habe mit den Behörden gedealt. Juri Derewjanko von der Bürgerrechtspartei „Wolja“ aber tut es. „Solche Deals sind in unserem Land üblich, wenn die Behörden gegen dich ermitteln. Klujew hat genug Geld und Verbindungen, sich von allem freizukaufen, und das hat er ganz offensichtlich getan, egal wer gerade in Kiew am Ruder ist“, erklärte Derewjanko im ukrainischen Fernsehen.




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