Die Ukraine wollte die Vertrauten des
Ex-Präsidenten Janukowitsch vor Gericht bringen. Nun ist ein Ex-Parlamentarier
verschwunden – mit seinen illegalen Milliarden und mit Hilfe der Behörden. Er ist kein Einzelfall.
Kiew Tagelang
wurde in der Ukraine gerätselt, wo Sergej Klujew abgeblieben ist.
Eigentlich sollte der ehemalige Parlamentarier und frühere Vertraute des
geflohenen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch vor dem Generalstaatsanwalt
aussagen. Doch der setzte sich ab.
Klujews Flucht und das Abwarten der ukrainischen Behörden ist kein
Einzelfall, rund 50 Personen aus dem Umfeld des im Februar 2014 nach Moskau
entkommenen Janukowitsch sollten eigentlich vor Gericht gestellt werden. Der
Vorwurf: Veruntreuung von Milliarden Euro an Steuermitteln, Amtsmissbrauch und
Vetternwirtschaft.
Mehr als 15 Monate nach dem Ende der pro-westlichen Euro-Maidan-Proteste
werden in der Ukraine die Stimmen der Kritiker immer lauter, die fordern, die
Versprechen von damals endlich einzulösen. Das jetzige Regierungsduo –
Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk und Präsident Petro Poroschenko – stand
damals an der Spitze der Demonstranten, eine der Hauptforderungen war die juristische
Auseinandersetzung mit der zutiefst korrupten Regierung von Ex-Präsident Viktor
Janukowitsch.
Switlana Salischtschuk, bis zum vergangenen Herbst Bürgerrechtlerin und
seit Oktober Parlamentarierin in der Fraktion „Block Petro Poroschenko“, sagte
der Zeitung „Kyiv Post“, die Regierung laufe Gefahr, Zustimmung und Vertrauen
der Ukrainer zu verlieren. „Eigentlich müsste Generalstaatsanwalt Schokin
sofort zurücktreten“, fordert sie.
Viktor Schokin, so der Verdacht der Mitbegründerin der NGO
„Reformpaket“, habe alles unterlassen, um Klujew festzunehmen. Nachdem am 3.
Juni das ukrainische Parlament dem Multimillionär und parteilosen Abgeordneten
Klujew die Immunität entzogen hatte, vergingen Tage, ohne dass die Behörden den
Inhaber des Solarstromunternehmens ActivSolar zum Verhör vorluden. Den Termin
am 9. Juni ließ die Generalstaatsanwaltschaft genauso verstreichen, wie es
versäumt wurde, die Grenzkontrollen zu verschärfen.
Im Gegenteil: Ganz offenbar konnte Klujew, dessen Bruder bis Februar
2014 Kabinettschef der Regierung Janukowitsch gewesen war, die Ukraine
ungehindert verlassen. Es gibt Gerüchte darüber, dass die Klujew-Brüder im
Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sind. Sollten die beiden
tatsächlich nach Wien entkommen sein, wären die Klujews auch ein Fall für die
dortigen Behörden.
Die Vorwürfe gegen Klujew haben es in sich, er soll
bei illegalen Privatisierungen Milliarden verdient haben, zudem erhielt die
Ökostromfirma ActivSolar Unsummen ukrainischer Haushaltsmittel, die Gewinne
flossen hingegen unversteuert zum Firmensitz nach Wien. Aufgrund der hohen
Summen, die dieses Finanzkonstrukt abwarf, sollen die Klujew-Brüder
Miteigentümer mehrerer österreichischer Banken sein.
Switlana Salischtschuk befürchtet nicht nur, dass ihre Landsleute die Geduld
mit der aktuellen Regierung verlieren, sondern auch, dass viele sich
extremistischen Gruppen anschließen oder gar Selbstjustiz üben könnten. „Die
Leute haben nach dem Euro-Maidan nicht erwartet, dass ihre Renten am nächsten
Tag erhöht werden würden oder dass wir in einem Jahr Mitglied der EU sind, aber
sie haben eine ernstgemeinte Aufarbeitung der Janukowitschjahre verlangt“, sagt
Salischtschuk.
In einem Gastbeitrag für die US-Zeitung „Wall Street Journal“ hat
Präsident Poroschenko behauptet, mittlerweile seien mehr als 2700 Personen aus
dem Umfeld Janukowitschs den Gerichten übergeben worden. Doch diese Zahlen kann
in Kiew keiner bestätigen. Daria Kalenjuk, Leiterin des
Anti-Korruptionszentrums in Kiew, spricht von einem „Irrtum“. Sie kenne keinen
einzigen dieser Fälle, sagte sie ukrainischen Medien. Die
Anti-Korruptionsexpertin geht davon aus, dass es sich dabei um „kleine
Angestellte und minderschwere Fälle“ handelt.
Anders liegen die Dinge bei Sergej Klujew, der zusammen mit seinem
Bruder Andrej über Jahre hinweg von Janukowitsch bei Staatsaufträgen und
Privatisierungen begünstig wurde. Beweise liegen seit Monaten vor, etliche
Papiere waren auf dem Grundstück des Janukowitsch-Anwesens, der 130 Hektar
großen Luxusunterkunft Meschegorija, bereits im März 2014 gefunden und
öffentlich gemacht worden.
„Es ist schwer zu vermitteln, warum der Justizminister
und der Generalstaatsanwalt nicht längst tätig geworden sind“, schreibt die
„Kyiv Post“. Vieles sieht danach aus, dass das Strafverfolgungssytem der Ukraine nach wie vor den alten Gewohnheiten verhaftet ist. Das Justizsystem
gehört zu einem der korruptesten weltweit.
Die Regierung muss nun viele Frage beantworten: Warum konnte sich Klujew
im Oktober noch einmal ins Parlament wählen lassen? Warum konnte Schokins
Vorgänger, der frühere Generalstaatsanwalt Rinat Kusmin, ungehindert nach
Moskau entkommen? Wieso können frühere Minister aus der Ära Janukowitsch, wie
der Energieminister Juri Boyko, Sozialministerin Natalia Korolewskaya und der
frühere Leiter der Präsidialadministration, Sergej Lewotschkin, bis heute
ungehindert ihrer Arbeit als Parlamentsabgeordnete nachgehen, ohne dass
Verfahren gegen sie eingeleitet wurden?
Für Frust sorgt bei Bürgerrechtlern auch die Tatsache, dass die
Europäische Union Kiew erst dazu drängen musste, nun doch endlich Ermittlungen
gegen Janukowitsch und seine Gefährten einzuleiten, ansonsten würden nämlich
die EU-Sanktionen gegen diesen Personenkreis aufgehoben werden müssen.
Derzeit sind Teile des Milliardenvermögens, das auf
europäischen Banken liegt, eingefroren. Wenn Kiew nicht bald mit der
juristischen Aufarbeitung beginnt, könnte es sein, dass dieses Geld in
absehbarer Zeit den Janukowitsch-Leuten wieder zur Verfügung steht.
Bisher sprechen nur wenige den ungeheuerlichen
Verdacht aus, Klujew habe mit den Behörden gedealt. Juri Derewjanko von der
Bürgerrechtspartei „Wolja“ aber tut es. „Solche Deals sind in unserem Land
üblich, wenn die Behörden gegen dich ermitteln. Klujew hat genug Geld und
Verbindungen, sich von allem freizukaufen, und das hat er ganz offensichtlich
getan, egal wer gerade in Kiew am Ruder ist“, erklärte Derewjanko im
ukrainischen Fernsehen.
No comments:
Post a Comment