Am 21. Juli 2014 hatte
Generalleutnant Andrej Kartapolow den Auftritt seines Lebens: Der Vizechef des
russischen Generalstabs trat in Moskau vor die Presse, er trug eine Uniform mit
kurzen Ärmeln, es war heiß in der russischen Hauptstadt. Vier Tage zuvor war
Flug MH17 über dem Kampfgebiet der Ostukraine abgeschossen worden. Die Lage war
danach brenzlig geworden für Moskau: Die von Russland unterstützten
Separatisten hatten sich mit dem Abschuss gebrüstet, nahmen diese Schilderung
mühsam zurück und schwadronierten von einem Komplott. Die Leichen seien seltsam
"blutleer" gewesen und sicher schon seit Tagen tot, behauptete ihr
Kommandeur.
Der Kreml schickte deshalb Armee-General
Kartapolow vor, mit gleich zwei möglichen Varianten des Hergangs. Seinen
Erkenntnissen nach habe sich ein Jagdflugzeug der ukrainischen Luftwaffe der
Boeing genähert. Kartapolow sprach von einer Su-25. Eigentlich wird der
Kampfjet gebaut zur Bekämpfung von Bodenzielen. "Er kann aber auch eine
Höhe von zehn Kilometern erreichen", sagte der Generalleutnant.
Belege für den Abschuss durch eine Luft-Luft-Rakete
nannte er nicht. Kartapolow hatte aber Satelliten-Aufnahmen. Sie sollten die
Welt überzeugen von Moskaus Variante B: Die Passagiermaschine könnte auch von
der ukrainischen Flugabwehr beschossen worden sein. Eine der Aufnahmen zeigt
schwere Wolken und nur einen kleinen Ausschnitt Boden.
Die Fotos lassen den Generalleutnant jetzt als Lügner
dastehen. Die Aufnahmen wurden
nach Erkenntnissen des Untersuchungsteams Bellingcat manipuliert. Die Aufnahmen seien falsch datiert und
"durch die Software Adobe Photoshop CS5 digital verändert worden".
So plump die Manipulation jetzt wirkt: Damals
entwickelte sie - wie andere russische Ablenkungsmanöver - enorme Wucht: Die
entsprechende Meldung des englisch-sprachigen Senders Russia Today wurde fast
40.000 Mal auf Facebook geteilt, über 5000 Mal getwittert.
Grobschlächtig gefälschtes Bild von Google Maps
So verhält es sich mit vielen der Nebelkerzen, die
Russland in den vergangenen zehn Monaten gezündet hat. Belege fehlen meist oder
entpuppen sich als fingiert. Die Strategie dahinter: Im Strudel der
Spekulationen soll alles untergehen, was die von Moskau aufgerüsteten
Separatisten oder gar russische Armeeangehörige belasten könnte. Beispiele:
Flug MH17 war kaum zerschellt, da meldeten russische
Medien, ein angeblich in der Ukraine stationierter spanischer Fluglotse bezeuge
den Abschuss durch einen ukrainischen Kampfjet. "Wenn die Behörden in Kiew
die Wahrheit sagen wollen: Es wurde registriert, dass zwei Jagdflugzeuge
Minuten vorher sehr nahe an der Maschine entlang flogen", twitterte
@spainbuca. Der Account war ein Fake. Es gab keinen Spanier bei der
ukrainischen Flugsicherung.
Die Nachrichtenagentur Interfax zitierte namentlich
nicht genannte Insider. Die wussten angeblich, MH17 sei nur aus Versehen von
Ukrainern abgeschossen worden. Das eigentliche Ziel sei die Maschine von
Präsident Wladimir Putin gewesen.
Große Aufmerksamkeit wird regelmäßig angeblichen
Quellen aus Deutschland zuteil. So berichtete die Boulevardzeitung
"Moskowski komsomolez" von einer "sensationellen Neuigkeit, die
aus einer Richtung kommt, aus der man sie nicht erwartet hätte: aus dem
deutschen Bundestag". Deutschland könne belegen, MH17 sei nicht von einer
Separatisten-Buk abgeschossen worden, sondern von einer ukrainischen
SA-3-Batterie.
Der Bericht berief sich auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Abgeordneten der Linken. In dem Dokument ist aber nur die Rede von Awacs-Aufklärern, die Signale einer ukrainischen SA-3 empfing, lange vor dem Abschuss. Der Propaganda-Artikel wurde bis heute allein online von mehr als 630.000 Menschen gelesen.
Der Bericht berief sich auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Abgeordneten der Linken. In dem Dokument ist aber nur die Rede von Awacs-Aufklärern, die Signale einer ukrainischen SA-3 empfing, lange vor dem Abschuss. Der Propaganda-Artikel wurde bis heute allein online von mehr als 630.000 Menschen gelesen.
Auch beim Auslandssender Russia Today stehen Beweise
aus Deutschland hoch im Kurs. Der Sender präsentierte einen Mann namens Peter
Haisenko als Kronzeugen für die These, MH17 sei durch die
Bordkanone eines ukrainischen Jets abgeschossen worden.
Der staatliche 1. Kanal prahlte mit einer
"einzigartigen Aufnahme", geschossen angeblich von einem
"westlichen Spionagesatelliten". Das Foto sollte den Angriff eines
ukrainischen MiG-Kampfflugzeugs auf MH17 zeigen.
Einzigartig war vor allem, wie grobschlächtig das Bild gefälscht war. Die Aufnahme stammte von Google Maps. Die Boeing war aus einem im Netz kursierenden Bild kopiert. Russische Blogger nahmen den TV-Bericht auseinander. Der 1. Kanal verbreitet ihn dennoch weiter auf seiner Webseite, bis heute ohne Korrektur.
Einzigartig war vor allem, wie grobschlächtig das Bild gefälscht war. Die Aufnahme stammte von Google Maps. Die Boeing war aus einem im Netz kursierenden Bild kopiert. Russische Blogger nahmen den TV-Bericht auseinander. Der 1. Kanal verbreitet ihn dennoch weiter auf seiner Webseite, bis heute ohne Korrektur.
"Kosmische Aufklärung"
Moskaus bislang letztes Manöver im Kampf um die
Deutungshoheit über den Abschuss der Boeing 777 datiert von Anfang Mai. Da
veröffentlichte die sonst kreml-kritische Zeitung "Nowaja Gaseta"
praktisch unkommentiert einen "Expertenbericht", der
angeblich aus der Feder russischer Rüstungsingenieure stammen sollte. Das Dokument hatte
offenkundig das Ziel, mit den immer unglaubwürdiger erscheinenden Spekulationen
über einen angeblichen Angriff eines anderen Flugzeugs aufzuräumen. Die Analyse
weist detailliert nach, dass die Attacke nur von einer Buk-Rakete stammen konnte.
Der Bericht markierte gleichzeitig aber auch die neue
Verteidigungslinie, auf die sich Moskau nun zurückziehen wollte: Abgefeuert
worden sei die Buk aber von Ukrainern. Um das zu beweisen, stützten sich die
Verfasser auf Angaben von Moskaus "kosmischer Aufklärung".
Es waren die gleichen manipulierten Satellitenbilder,
die Generalleutnant Kartapolow am 21. Juli in Moskau vorgestellt hatte.
Original
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