Außenminister Pawlo Klimkin möchte bei dem EU-Gipfel
in Riga die Anerkennung der Ukraine "als europäischer Staat"
erreichen. Mariupol hält er für besonders gefährdet. Aus strategischen Gründen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die
meisten Staats- und Regierungschefs der EU kommen am Donnerstag in Lettlands
Hauptstadt Riga zu einem Gipfel der Östlichen Partnerschaft zusammen. Deren
Mitglieder sind die Ukraine, Weißrussland, Armenien, Aserbaidschan, die
Republik Moldau und Georgien. Derukrainische Außenminister Pawlo Klimkin benennt die Erwartungen
seines Landes an das Treffen.
Die Welt: Minister Klimkin, was soll der Gipfel zwischen der EU
und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, an dem auch Bundeskanzlerin Merkel
teilnimmt, bringen?
Pawlo Klimkin: Mein Land erwartet von dem Gipfeltreffen in Riga die
Anerkennung als europäischer Staat. Wir möchten jetzt in Riga die konkrete
Zusicherung erhalten, dass die Ukraine für eine künftige Mitgliedschaft in der
Europäischen Union geeignet ist und die Chance hat, in Zukunft ein
Beitrittskandidat zu werden. Wir möchten Licht am Ende des Tunnels sehen, wir
brauchen dringend eine europäische Perspektive. Das würde der Stimmung und dem
Reformprozess in der Ukraine einen unglaublichen Schub verleihen.
Die
Welt: Was
ist Ihnen noch wichtig?
Klimkin: Wir erwarten von dem Gipfeltreffen auch die Zusage,
dass die Ukraine im kommenden Jahr Visumfreiheit erhält und ukrainische Bürger
damit problemlos in die EU einreisen können. Wir wissen, dass wir dafür noch
einige Reformen durchführen müssen, aber die EU kann zuversichtlich sein, dass
uns das gelingen wird.
Die
Welt: Wird es dann nicht einen Massenexodus aus der Ukraine
geben?
Klimkin: Ich kann Ihnen versichern, dass die Visumfreiheit
nicht zu einer Migrationswelle in die Europäische Union führen wird. Wir haben
damit erste Erfahrungen im kleinen Grenzverkehr an bestimmten Orten gemacht.
Der freie Personenverkehr wird aber den Ukrainern das Gefühl geben, dass sie
Teil Europas sind. Und die biometrischen Pässe werden höchste Sicherheit
gewährleisten, die Bewegungen der Reisenden werden jederzeit nachverfolgbar
sein.
Die Welt: In Riga wird es auch um eine neue Zusammenarbeit
zwischen Kiew und Brüssel gehen.
Klimkin: Das stimmt. Deswegen brauchen wir die Ratifizierung
des gesamten Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine in allen
Mitgliedsländern, damit das Abkommen schnellstmöglich implementiert werden
kann. Das gilt natürlich auch für die Assoziierungsabkommen, die Georgien und
Moldau mit der EU abgeschlossen haben. Das ist wichtig, weil wir die volle
Integration in die EU anstreben. Das Assoziierungsabkommen ist ein zentrales
Instrument, um unsere Gesetze und Normen in allen Bereichen an die
EU-Standards, also den "acquis communautaire", anzupassen.
Die
Welt: Das
Vertrauen der EU in Präsident Poroschenko und die Koalitionsregierung in der Ukraine hat
gelitten, weil Reformen ausbleiben. Erwartet der Westen zu viel von Kiew?
Klimkin: Nein. Wir haben keine Ausreden. Wir können nicht
sagen: Der russischeAggressor sitzt uns im Nacken, und deswegen müssen wir
das Reformtempo verlangsamen. Wir wollen liefern. Wir wissen, dass Reformen der
einzige Weg sind, unser Land stabiler und widerstandsfähiger gegen Russland zu
machen.
Die
Welt: Das
sind schöne Worte …
Klimkin: Ich bitte Sie! Wir haben in den vergangenen Monaten
mehr geschafft als in zehn Jahren zuvor. Das soll keine pathetische Phrase
sein, das ist so. Polizei- und Justizreform, Deregulierung. Wir haben eine
Menge geleistet, und wir packen noch mehr an. Wir werden jetzt eine
Verfassungsreform machen mit einem klaren Fokus auf Dezentralisierung. Wir
wollen den Regionen und Kommunen mehr Rechte geben. Und wir werden Ende Oktober
2015 freie und faire Regionalwahlen unter internationaler Aufsicht durchführen.
Je nachdem, wie diese Wahlen ausgehen, kann man dann auch über einen
Sonderstatus für die heutigen Separatistengebiete sprechen.
Die
Welt: Können
die Separatistenführer bei diesen Wahlen auch kandidieren?
Klimkin: Wir haben Arbeitsgruppen eingerichtet, die über solche
Verfahrensfragen entscheiden. Ich kann Ihnen das noch nicht sagen.
Die
Welt: Sie
haben Friedenstruppen für die Ukraine gefordert. Warum?
Klimkin: Ich weiß, wir haben die OSZE. Sie ist wichtig für die Beobachtung und
Deeskalation. Aber die OSZE reicht auf die Dauer nicht. Wir brauchen dringend
eine EU-Mission in der Ukraine, die Präsenz zeigt und Verantwortung übernimmt.
Sie kann uns helfen, rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen, Stabilität im Land
zu sichern, freie Wahlen durchzuführen und die Kontrolle der Grenzen zu
Russland zu verbessern. Das kann eine rein zivile Mission sein oder aber eine
zivil-militärische EU-Mission aus Polizisten, Justizpersonal und Soldaten.
Die Welt: Wie soll das gehen, Moskau wird dies im
UN-Sicherheitsrat blockieren?
Klimkin: Für eine zivile Mission ist ein UN-Mandat nicht
notwendig. Die Mitgliedsstaaten müssen aber selber entscheiden, ob sie für die
Entsendung von so einer Mission ein UN-Mandat benötigen. Es geht auch ohne, das
hat die EU auf dem Westbalkan ja gezeigt.
Die
Welt: Der
Friedensprozess stockt, das Minsker Abkommen vom Februar 2015 dürfte bis
Jahresende, wenn überhaupt, nur sehr unvollständig umgesetzt werden. Ist das
Abkommen tot?
Klimkin: Das sehe ich nicht so. Das Minsker Abkommen ist der
einzige Weg, um die Probleme der Ukraine zu lösen. Es ist ohne Alternative. Es
beinhaltet Deeskalation, Stabilisierung und klare Regeln für die Zukunft des
Donbass. Die Ukraine wird Punkt für Punkt dieses Abkommens umsetzen. An uns
wird das Minsker Abkommen nicht scheitern.
Die
Welt: Aber warum überweist Kiew dann nicht Renten an die
Bevölkerung in den von den Separatisten besetzten Gebieten? Das widerspricht
dem Minsker Abkommen.
Klimkin: Wir überweisen das Geld doch. Es gibt im Donbass
offiziell 1,25 Millionen Menschen mit Rentenansprüchen. Wir zahlen Renten an
etwa 950.000 Personen. Den Rest erreichen wir nicht, weil das Bankensystem im
Donbass nicht funktioniert. Wir suchen aber nach einer Lösung dafür.
Die
Welt: Kann
Russisch jemals nach Ukrainisch zweite offizielle Amtssprache in Ihrem Land
werden?
Klimkin: Jede Bevölkerungsgruppe in der Ukraine soll künftig
frei entscheiden können, in welcher Sprache sie untereinander sprechen und mit
den lokalen Behörden kommunizieren will. Wer Russisch sprechen möchte, kann das
tun. Wer Griechisch oder Ungarisch sprechen will, kann das ebenfalls tun. Wir
wollen dezentrale Lösungen. Aber Ukrainisch bleibt überall die offizielle
Amtssprache.
Die Welt: Neben ungelösten politischen Problemen hat die Ukraine
noch ein ganz anderes Problem: anhaltende Gewalt. Die Front ist nur noch zehn
Kilometer von der Hafenstadt Mariupol entfernt.
Klimkin: Wir registrieren im Donbass, dass die Terroristen kontinuierlich
Logistikstützpunkte und Trainingscamps aufbauen. Sie erhalten nach wie vor
Munition und Waffen aus Russland. Tausende russische Soldaten befinden sich auf
dem Gebiet der Ukraine, vor wenigen Tagen konnten wir zwei von ihnen
festnehmen. Die Russen haben versucht, sie zu ermorden, nachdem wir sie
gefangen genommen hatten.
Die
Welt: Und
was passiert mit Mariupol?
Klimkin: Mariupol ist ein wichtiges strategisches Ziel für die
Terroristen, weil die Stadt einen Landweg Richtung Krim sichern kann. Wir
rechnen jeden Tag mit einem Angriff, das kann jederzeit passieren, aber die
ukrainischen Truppen sind darauf vorbereitet. Die Bevölkerung in Mariupol ist
proukrainisch, sie ist tapfer, das ist beeindruckend. Aber es geht nicht nur um
Mariupol. Es gibt an vielen Stellen im Donbass die Gefahr, dass Gewalt sich
weiter ausbreitet.
Die
Welt: Die
EU muss im Juni über die Verlängerung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland
entscheiden. Was erwarten Sie?
Klimkin: Die Ukraine rechnet fest damit, dass die EU volle
Solidarität zeigt und die Sanktionen gegen Russland im Juni verlängern wird. Es
gibt ja auch überhaupt keinen Grund, dies nicht zu tun. Die russische
Aggression hält unvermindert an. Moskau hat die internationalen Regeln
gebrochen. Es geht Russland nicht nur um den Donbass, sondern um die ganze
Ukraine, es geht um Einflusssphären, es geht um ein anderes Europa.
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